Dieter Pohl Organisationsentwicklung Organisationsentwicklung, Mediation, Coaching

Dieter Pohl Organisationsentwicklung
Schaut dahinter!
Michael Kiefer, Volk verurteilt einen Fisch, Lehmbruck-Museum Duisburg, Foto Dieter Pohl
Michael Kiefer, Volk verurteilt einen Fisch, Lehmbruck-Museum Duisburg, Foto Dieter Pohl

In Augsburg ist vor Kurzem ein Mann mit einem Faustschlag niedergeschlagen worden.

Er starb an den Folgen des Schlages. Der Fall ist traurig und tragisch. Die Familie stand noch unter Schock.  Die Stadt Augsburg hatte gerade erst begonnen zu trauern und zu recherchieren. Schon stand bei Twitter zu lesen: Er wurde „zu Tode geprügelt“ und es war „Migrantengewalt“. Das ist schockierend und abstoßend.                   

Der Twitter-Botschafterin geht es offenbar darum, einen Migranten zu verdächtigen. Der 17-jährige Verdächtige hat nicht nur die deutsche, sondern auch noch die türkische und die libanesische Staatsbürgerschaft. So schnell kann es gehen, dass widerwärtige Ereignisse in politische Münze umgewechselt werden.

Die Augsburger Allgemeine jedenfalls hielt klug und nüchtern fest: „Ob Jugendliche kriminell werden oder nicht, entscheidet nicht der genetische, sondern der soziale Hintergrund“. Das Risiko, auf die schiefe Bahn zu geraten, ist höher bei Jugendlichen, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen. Es ist Zeit, der Hetze zu widerstehen.

Es gibt sprachliche Ausdrücke, die verbreiten keine Genauigkeit, keinen Verständigungswillen. Sie verbreiten Verdächtigungen, sie suggerieren Sicherheit.

Sie spalten zwischen Gleichgesinnten und Andersdenkenden, schieben Schuld anderen zu, sie verbreiten Gift. Als Beispiel nenne ich die Begriffe „Migrantengewalt“, „Umvolkung“, „Genderwahn“.

Es ist in unseren Tagen ein Kampf um die Deutungshoheit entbrannt, um die Deutungshoheit der Sprache, die Denken und Handeln bestimmt, und damit der Welt.

Orientierung kann uns eine Erzählung aus dem Lukasevangelium geben.

Lukas 3, 3 – 14

3 Johannes, der Sohn des Zacharias, kam in die Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden,

4 wie geschrieben steht im Buch des Propheten Jesaja (Jesaja 40,3-5): »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben!

5 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden,

6 und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.«

7 Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen:

Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?

8 Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken.

9 Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

10 Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir nun tun?

11 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso.

12 Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun?

13 Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!

14 Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!

7 Ihr Otterngezücht!

Ist das eine korrekte Anrede? Stellt sich Johannes damit nicht auch auf die eine Seite und diffamiert die andere Seite?

Ist diese Anrede anschlussfähig? Ruft sie einen Dialog hervor? Ist das christliche Sprache?

Manche wünschen sich das. Endlich mal wieder eine klare Orientierung!

Aber: Ist die Orientierung wirklich klar? Oder ist das nur Machtgehabe, Rechthaberei?

7 Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?

Ja, es ist mutige Sprache. Johannes will die vordergründige Sicherheit erschüttern.

Die Sicherheit, die sagt: „Ich lebe rechtschaffen und ordentlich“, „Mir kann keiner was nachsagen“, „Ich stehe auf der richtigen Seite“.

Johannes will vordergründige Sicherheiten erschüttern, um Alternativen anzudenken.

Er will nicht einfach die vorherrschende Meinung bestätigen. Die vorherrschende Meinung ist meist geprägt von denen, die sich durchsetzen können. Ungern lassen sie abweichende Meinungen zu. Johannes möchte Alternativen andenken.

8 Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße!

„Tut Buße!“ sagt er. „Metanoiete!“ – in dem griechischen Wort steckt zweierlei:

  • noiete:  nehmt zur Kenntnis, es geht zunächst um einen geistigen Vorgang,

  nicht um einen pragmatischen,

  • meta:    schaut dahinter, lasst Euch nicht mit vordergründigen Behauptungen abspeisen,

und zieht Eure Konsequenzen daraus: Kehrt um!

„Schaut noch mal hin, schaut dahinter!“ ruft uns Johannes zu,

wenn uns Nachrichten – besonders Twitter-Botschaften – zugespielt werden, fragt ganz genau: wessen Sichtweise stützen die Informationen?

„Schaut noch mal hin, schaut dahinter!“ ruft uns Johannes zu, wenn uns schnelle Urteile oder schnelle Lösungen präsentiert werden, fragt ganz genau: folgen sie stereotypen Denkschablonen oder kommen sie aus ergebnisoffenen Debatten?

 „Schaut noch mal hin, schaut dahinter!“ ruft uns Johannes zu, wenn uns die Welt aufteilende Kategorien begegnen: „Wir die Deutschen – da, die Fremden“,

fragt ganz genau: wem nützt das Gerede!

„Tut Buße! Schaut dahinter und zieht Konsequenzen!“ – ruft uns Johannes zu.

Ist der, der so redet, selber ein Angstmacher, der nur die Leute beunruhigen will, der immer gegen alles ist?

Angst wirkt im Untergrund, verbreitet sich – schleichend. Angst, die wir bei uns selbst nicht wahrhaben wollen, wird schnell übertragen auf die, die so reden – man nennt es eine umgekehrte Projektion –. Die sind dann die Angstmacher, die Übertreiber, die Bösen.

Nein, Johannes ist kein Angstmacher. Er redet aus einer großen Zuversicht heraus:

4 »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben!

5 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden,

6 und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.«

Das ist das Geheimnis: Weil Johannes Gottes Kommen vor Augen hat, kann er die Dinge beim Namen nennen. Weil er vor Augen hat, dass Gott seine Welt nicht aufgibt, darum kann er auch das Schlimme benennen, den Dingen auf den Grund gehen, darum kann er von Ungerechtigkeit und Schuld sprechen, darum kann er Wunden offenlegen.

Umgekehrt: Wenn die Zuversicht verloren ist, muss die Realität beschönigt, verniedlicht, manchmal sogar vertuscht werden. Es hilft weiter, es hilft unserem Zusammenleben weiter, wenn die schwierigen Dinge, die angstauslösenden Sachverhalte benannt werden. Was nicht benannt wird, kann auch nicht behoben werden.

Weil Johannes Gottes Kommen vor Augen hat, kann er auf alle selbstgemachte, voreilige Beruhigung und Harmonie verzichten, darum kann er auch auf alle selbstgemachte Sicherheit verzichten.

8 Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater.

Wir kennen auch solche uns selbst beruhigende Reden: „Wir haben die christliche Tradition.“

„Wir haben die besseren Sicherheitsvorkehrungen.“ „Wir haben die bessere Technik.“

„Seht nur zu“ – sagt Johannes:

9 Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

Schaut Euch die Früchte der selbstgemachten Sicherheit an: Verharmlosung, Bagatellisierung, Beruhigung, und dahinter: Unruhe, Angst …

10 Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir nun tun?

11 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso.

Was sollen wir tun?

Die Antwort des Johannes ist einfach: teilen. Da fallen mir unsere Güter und Schätze ein, die Nahrungsmittelüberproduktion in der Europäischen Union, die Zollschranken und der immer noch vorhandene Hunger in der Welt. Das kennen wir alles. Teilen wir?

Im Blick auf Informationen heißt teilen: mit-teilen. Mitteilen, was war, umfassender und mit mehr Ruhe berichten, Fehler analysieren, Verantwortliche benennen – wenn möglich – Fairness walten lassen, nach Lösungen für die Zukunft suchen. Im Blick auf Andersdenke, Fremde heißt teilen: den Lebensbereich mit Ihnen teilen, sie einschließen, nicht ausschließen nach dem Muster: Wir – die Anderen. Die Perspektive der Andersdenkenden einnehmen, zumindest versuchsweise. Meinungs- und Redefreiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkens.

Es könnte schon sein, dass der bärbeißige und zottelige Adventsmensch Johannes uns unbequem und kritisch macht, so dass wir nicht mehr alles hinnehmen und nicht mehr alles schlucken, sondern miteinander neue Wege suchen, aus der Zuversicht heraus, dass Gott zu seiner Schöpfung steht, dass er selbst kommt – was wir jährlich an Weihnachten feiern.

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